Mit dem Zwiebelprinzip Zukunftsängste überwinden – Podcast #93

Das Thema Angst vor der Zukunft betrifft viele Menschen. In dieser Folge des Podcasts "Wecke deine Lebensfreude" zeigen die Coach Maja Günther und die Psychologin  Claudia Morgenstern wie du einen positiven Umgang damit findest.

Mit dem Zwiebelprinzip Zukunftsängste überwinden – Podcast #93
© PAL Verlag unter Verwendung eines Fotomotivs von unsplash.com

Herzlich willkommen zu einer besonderen Podcast-Folge, in der ich zum ersten Mal einen Gast habe. Ich unterhalte mich mit der Diplom-Psychologin und Gesprächstherapeutin Claudia Morgenstern über das Thema Angst vor der Zukunft. Anhand von Beispielen aus unserer Arbeit mit Klient:innen und Patient:innen zeigen wir dir, wie diese Angst entsteht, und geben dir eine praktische Methode an die Hand, wie du einen Umgang mit dieser Form der Angst finden und so deine Alltagssorgen eindämmen kannst. So verminderst du nicht nur dein Leiden an der Angst, du wappnest dich auch gegen zukünftige Ereignisse, die dir Angst machen.

Themen des Gesprächs und meine Gesprächspartnerin

•    Wie können wir mit der Angst vor der Zukunft umgehen?
•    Welche Mechanismen werden in uns ausgelöst? 
•    Aber auch: Welche Chancen liegen darin, vor allem in Zeiten des Umbruchs?

In meiner heutigen Podcastfolge spreche ich mit Claudia Morgenstern. Sie ist nicht nur eine gute Freundin von mir, sondern auch eine erfahrene Kollegin, die seit vielen Jahren in einer Reha-Klinik als Neuropsychologin mit Patientinnen und Patienten arbeitet, die an schweren psychischen Störungen leiden. Darüber hinaus berät die Diplom-Psychologin und ausgebildete Therapeutin für klientenzentrierte Gesprächstherapie Paare und Einzelpersonen in ihrer Privatpraxis. 

Nachfolgend ausgewählte Passagen unseres Gesprächs. Wir geben sie nicht wortwörtlich, sondern sinngemäß wieder.

Angst vor der Zukunft entsteht durch eine hohe Grundbelastung

Maja Günther: Ich stelle fest, dass es zurzeit ein Grundniveau an Belastungen gibt. Das erzählen mir viele Klientinnen und Klienten. Nach zwei Jahren Pandemie, dazu der Krieg und die Energiekrise, gibt es eine Menge, was wir unter der Oberfläche mit- und in uns tragen. Das führt auch dazu, dass es uns schwerfällt mit unseren Ängsten umzugehen und uns die Leichtigkeit verloren geht. 

Claudia Morgenstern: Ja, auch ich bemerke im Klinikbetrieb, dass die aktuelle Situation den Menschen eine Menge abverlangt. Und wenn dann in einem Bereich noch etwas dazukommt, dann kippt das Ganze. 

Vom Bedürfnis nach Sicherheit und Kontrolle

Maja Günther: Wenn ich Angst vor der Zukunft habe, dann habe ich oft auch das Bedürfnis, einen anderen Teil meines Lebens zu kontrollieren. Gerade von Menschen, die sich neu orientieren müssen, kommen Aussagen wie: Ich habe das Gefühl, die Welt steht still und nichts geht weiter. Und auf der anderen Seite habe ich das starke Bedürfnis nach Kontrolle. Beispielsweise das Bedürfnis nach einer Festanstellung, denn da ist genau festgelegt, wie viel Geld ich für meine Arbeit bekomme.

Claudia Morgenstern: Also Kontrolle als Gegengewicht. Je mehr Unruhe es in unserem Leben gibt, desto mehr versuchen wir, etwas festzuhalten, was uns Stabilität vermittelt, auch wenn es nur eine scheinbare Kontinuität ist.

Maja Günther: Das Problem dabei ist, dass es in der Realität diese vermeintliche Sicherheit nicht gibt. Das wird immer klar, wenn Menschen im nahen Umfeld plötzlich krank werden. Dann wird auch Außenstehenden klar: Das kann ja jedem, auch mir passieren. Dann ist die Krankheit eben nicht mehr weit weg, dann können wir uns nicht mehr in Sicherheit wiegen, dass es unvorstellbar wäre, dass uns das jemals passiert.

Claudia Morgenstern: Diese scheinbare Sicherheit hilft uns aber auch, durch den Tag zu gehen. Würden wir uns nämlich ständig Gedanken darüber machen, was passieren könnte, würde uns das auch unruhig machen. Insofern hilft uns die scheinbare Sicherheit auch, nicht die Angst unseren Tag bestimmen zu lassen. 

Das Zwiebelprinzip

Maja Günther: Wenn ich mir überlege, was ich tun kann, wenn ich Angst habe, dann kommt schnell die Frage auf: Wo kann ich überhaupt anfangen, mich zu stabilisieren? Meine Antwort ist dann: Es ist wichtig, bei sich selbst anzufangen. Suche im Alltag nach Momenten, die dir Leichtigkeit und Stabilität geben. Kleine Momente, in denen du nach deinen Bedürfnissen gehst und dich wohlfühlst. Frage dich also: Brauche ich heute einen Spaziergang, möchte ich mir etwas kochen, brauche ich eine kleine Pause, in denen ich ein gutes Buch lese? Das ist das Innerste von der Zwiebel.

Claudia Morgenstern: Für mich ist das oft ein Sowohl-als-auch. Denn die Krisen sind da, wir können und sollen sie nicht leugnen. Aber zugleich ist es auch wichtig zu wissen: Ich darf mich auch in diesen krisengeschüttelten Zeiten um mich kümmern, darf mich freuen und Glücksmomente erleben, ohne ein schlechtes Gewissen zu haben. 

Maja Günther: Das ist der Clou am Zwiebelprinzip. Ich fange im Kern an, konzentriere mich auf mich selbst, alle anderen Schichten würden mich emotional überfordern. Ich kann den Krieg nicht stoppen, ich kann das Klimaproblem nicht auf Anhieb lösen, aber ich kann schauen, dass ich stabil bin. 

Ein schönes Bild ist die Vorstellung, über eine alte Hängebrücke zu gehen. Da gibt es eine gewisse Grundgefahr. Ich habe Angst rüberzugehen – bei jedem Schritt. Und da hilft es, wenn ich eine innere Balance habe und kleine Hilfsmittel wie mich am Geländer festzuhalten.

Claudia Morgenstern: Ich bleibe im Bild, denn oft wissen wir ja gar nicht, wohin die Hängebrücke führt oder was mich auf der anderen Seite erwartet. Dann ist es wichtig, einen Schritt vor den anderen zu setzen. Es kann auch sein, dass ich innehalten muss, weil die Schwankungen zu sehr zunehmen. Dann hilft es mir, wenn ich mich auf mich konzentriere, aber auch wenn ich mir klarmache, dass ich nicht ganz allein bin. Genauso ist es auch in einer Situation, die mir Angst macht.

Mit Akzeptanz und Vertrauen in die Zukunft gehen

Maja Günther: Wir alle haben immer Zukunft vor uns, die wir betreten – in jeder neuen Minute. Das können wir nicht vermeiden. Allem, was uns in der Zukunft erwartet, Gutes wie Schlechtes, auch Krankheiten oder sogar den Tod, können wir nicht ausweichen. Aber selbst dann kann ich glückliche und unbeschwerte Momente erleben.

Claudia Morgenstern: Niemand würde beispielsweise eine schwere medizinische Diagnose "mit offenen Armen" empfangen. Umso wichtiger ist es, sich auch bei schweren Nachrichten Zeit zu nehmen, um in der neuen Situation anzukommen.

Maja Günther: Und hier sind wir beim Thema Vertrauen – Vertrauen ins Leben. Wir können uns darauf zurückbesinnen, dass wir vertrauen können, dass das Leben weitergeht, auch wenn die Zukunft ungewiss ist und wir viele negativen Vorstellungen vom Leben haben.

Claudia Morgenstern: Das Eine ist, sich selbst zu vertrauen: Ich traue mir zu, dass ich es schaffe, auch wenn die Zeit oder Situation schwierig ist. Das Andere ist das Vertrauen in den größeren Zusammenhang: Da gibt es Menschen, mit denen ich mich austauschen kann. Wir können uns zusammentun und über große Probleme sprechen. Ich bin also ein Teil davon und kann mir überlegen: Was kann ich dazu tun, um die Probleme zu lösen.

In kleinen Schritten die Zukunft verändern

Maja Günther: Und hier sind wir wieder beim Zwiebelprinzip: In der nächsten Schicht kann ich mir überlegen, was ich konkret tun kann, um beispielsweise das Klimaproblem lösen zu können, ohne gleich das große Ganze verändern zu müssen. Ich könnte also einfach mit meinen Obstnetzen einkaufen gehen und so meinen ganz kleinen Beitrag zum Umweltschutz leisten. 

Claudia Morgenstern: Da sind wir beim Thema Selbstwirksamkeit. Wenn ich Prioritäten setze und mich fokussiere, dann kann ich in meinen Möglichkeiten dranbleiben, mich einzubringen. Und das bringt mich weg vom Gefühl der Ohnmacht …

Maja Günther: … und vom Gefühl, alles andere kontrollieren zu müssen. Denn dann kann ich wirklich etwas verändern.

Negative Nachrichten vermeiden, gute Nachrichten sammeln

Maja Günther: In dem Zusammenhang ist es auch wichtig, die Flut an Nachrichten zu reduzieren, denen wir ausgesetzt sind. Es gibt ja leider viel zu wenig positive Nachrichten.

Claudia Morgenstern: Deshalb sollten wir auch die guten Nachrichten des Tages selbst gezielt suchen. Es passiert ja trotz aller Krisen auch viel Gutes, aber das wird von den Krisen so verschüttet. Ich selbst höre gerne einen bestimmten Radiosender und dort gibt es immer die gute Nachricht des Tages. Wenn ich das höre, merke ich, wie gut es mir tut, zu hören, welche guten Ideen Menschen im Alltag haben, wo sie miteinander solidarisch sind oder etwas teilen. Und das regt mich an, mir selbst zu überlegen, wo die Lichtpunkte sind zwischen all dem, was sonst so an Turbulenzen da ist. 

Maja Günther: Damit können wir auch dem entgegenwirken, dass immer das Negative in unserem Kopf hängen bleibt. Denn das ist ja auch ein Phänomen, dass wir uns das Negative viel besser merken als das Positive.

Claudia Morgenstern: Ja das liegt in unserer Natur. Kognitionspsychologisch gesehen, haben wir Menschen eine Negativverzerrung in unserer Wahrnehmung, die insofern nachvollziehbar ist, dass wir uns so vor Gefahren schützen wollen. Daher hat das Negative Gewicht in unserem Leben. Jetzt ist es wichtig, in uns ein Gegengewicht zu schaffen. Und das sind dann die kleinen guten Nachrichten. Und auch, wenn es viele davon braucht, um gegen Krisen anzukommen, sollten wir uns bewusst machen: die Waagschale der guten Nachrichten ist nicht leer. 

Maja Günther: Und genau damit können wir selbst etwas tun werden und der Unsicherheit aktiv entgegenwirken.

Claudia Morgenstern: Das ist auch eine schöne Aufgabe an euch. Haltet immer mal wieder inne und überlegt euch: Was ist die gute Nachricht des Tages? Haltet nach ihr Ausschau, dann werdet ihr euch viel häufiger bemerken: Oh, das war jetzt die gute Nachricht! 

Maja Günther: Es ist auch ganz gut, sich einen bestimmten Zeitpunkt zu setzen, an dem ihr euch fragt, was die gute Nachricht eures Tages war.

Krisen schaffen Veränderung

Maja Günther: Als Soziologin kann ich sagen, dass es Krisen braucht, um Veränderungen herbeizuführen. Das Umweltbewusstsein von vielen Menschen entsteht beispielsweise eben erst jetzt in der Klima- und Energiekrise. Und vielleicht geben uns die momentanen Krisen Anlass, uns so zu stabilisieren, dass wir in Zukunft leichter und besser damit umgehen, wenn wir Angst spüren oder sich Ungewissheit in uns breit macht. Denn die nächste Krise wird kommen. Vielleicht ist das Ziel, dafür gewappnet zu sein und sich zu vergewissern, das schaffen zu können.

Claudia Morgenstern: In Krisen kann ja auch viel Gutes entstehen. Wenn ich beispielsweise auf die Pandemie zurückblicke und darauf, was sie für enorme Kräfte in Bewegung gesetzt hat, um allein die Impfstoffentwicklung in kürzester Zeit voranzutreiben, dann kann ich sagen: In Krisen kann viel passieren.

Maja Günther: So, wie auch in den Menschen etwas passiert, die ihre ganzen Kräfte mobilisieren und dieser Situation viel über sich lernen, ohne dass sie es eigentlich wissen.

Wir wollen euch mit diesem Podcast auf das bringen, was ihr bereits in euch tragt. Wir Menschen haben alle Ressourcen in euch – all das, was wir für ein gutes Leben brauchen –, nur manchmal sind wir abgelenkt von zu vielen schlechten Nachrichten oder geleitet von zu vielen Ängsten. Wir sollten wieder lernen, uns zu vertrauen und der Zukunft – und darauf, dass wir sie meistern können.

Alles Gute

Deine

Maja und Claudia

 

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 Angst vor der Zukunft entsteht durch eine hohe Grundbelastung
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 In kleinen Schritten die Zukunft verändern
 Negative Nachrichten vermeiden, gute Nachrichten sammeln
 Krisen schaffen Veränderung
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