Haben oder Sein – was macht uns wirklich glücklich und zufrieden?

Wir leben im Überfluss – zu viele Habseligkeiten, zu viele Informationen, zu viel Konsum. Doch tut es uns wirklich gut, immer mehr besitzen zu wollen? In diesem Beitrag findest du hilfreiche Tipps, um in der Flut der Dinge, das Wesentliche wiederzuentdecken und innere Freiheit zu schaffen.

Haben oder Sein – was macht uns wirklich glücklich und zufrieden?
© Alex Perez, unsplash.com

Weniger ist mehr – das war dem US-amerikanischen Sozialphilosophen Richard Gregg schon 1936 bewusst, als er den Lifestyle der Voluntary Simplicity (Freiwillige Einfachheit) prägte:

„Genauso wie es für den Körper schädlich ist, zu viel zu essen, selbst wenn die Qualität des Essens ausgezeichnet ist, so scheint es auch eine Grenze zu geben für die Anzahl der Dinge oder die Größe des Eigentums, die eine Person besitzen kann, wenn sie psychologisch gesund bleiben will.“

Wie visionär seine Gedanken waren, wissen wir nicht erst seit heute. Für die viele Menschen, die sich in den Nachkriegsjahren des 20. Jahrhunderts vom "Immer mehr" der Wirtschaftswunder-Jahre befreien wollten, wurde Erich Fromms konsumkritischer Klassiker „Haben oder Sein“ zum Kultbuch. Die 68er-Generation wollte sein statt haben, leben statt konsumieren. Diese einfache Lebensweise war eine fast visionäre Vorstellung, fand jedoch nie wirklich Eingang in das Verhalten der breiten Gesellschaft und verblasste mit den Jahren zunehmend. Erst heute beginnen wir wieder, bewusster und nachhaltiger zu konsumieren und den Wert von materiellem Besitz zu hinterfragen, nicht zuletzt durch die nicht mehr zu übersehenden Ausmaße der von uns selbst erzeugten Klimakatastrophe. Denn wir haben eigentlich von allem zu viel. Und das kann uns belasten und beschweren – unser Portemonnaie, unsere Wohnräume, aber vor allem unsere Seele.

Wir besitzen im Durchschnitt 10.000 Dinge

Hast du dir schon einmal überlegt, wie viele Dinge du besitzt? Nach hundert hören die meisten Menschen zu zählen auf. In der Tat finden sich aber im Schnitt 10.000 Gegenstände in deutschen Haushalten. Wir konsumieren gerne, viel und schnell. Und die Wirtschaft suggeriert uns mit ihrer Werbung auch, dass wir ohne das neueste Smartphone, die Anti-Aging-Creme und die angesagten Sneaker nicht auskommen. Klar, unser Konsum ist ihr Motor. Sie verspricht uns Glück, Zufriedenheit und ein bestimmtes Image, wenn wir nur ihre Produkte erwerben. Oft stellen wir dann aber fest, dass der Reiz des Neuen schnell verfliegt. Spürten wir beim Klick auf den Warenkorb noch ein Hochgefühl, uns etwas Gutes getan zu haben, sind wir oft schon beim Eintreffen des Pakets nicht mehr so überzeugt. Oft landen unsere Einkäufe dann schnell in der Ecke, weil sie uns eben nicht das geben können, was wir uns wünschen. Und sie fordern uns auch nach dem Kauf: das Smartphone braucht ein Update, die Bücher wollen nun auch gelesen, die Sneaker und der neue Kugelgrill geputzt werden. So wird die Wohnung immer voller, Ordnung zu halten wird immer schwieriger und wir finden Wichtiges nicht mehr. Das Chaos stresst uns und wir fühlen uns unfrei, determiniert und überfordert, statt glücklich.

Die Reizüberflutung bestimmt aber nicht nur unseren materiellen Konsum. Auch auf der geistigen Ebene müssen wir mit dem Zuviel zurechtkommen. Wir werden zugeballert mit Informationen, im Fernsehen, im Internet, auf den Social Media-Kanälen. Wir müssen die wichtigen Informationen bewusst filtern, um nicht verloren zu gehen. Dazu sollen wir ständig ein perfektes Bild von uns abgeben – Stichwort Selbstoptimierung. Wir sollen alles wissen, immer auf dem neuesten Stand sein, unseren Körper trimmen, uns gesund ernähren, psychisch stabil sein usw.

Vielen wird das Zuviel zu viel, wir fühlen uns überfordert. Ein First-World-Problem gewiss. Wir sollten uns dessen immer bewusst sein. Dennoch: Wir können andere Wege gehen, weniger und bewusster konsumieren, auch bewussten Verzicht üben, um den Blick wieder frei zu bekommen und uns auf das Wesentliche zu konzentrieren. Und wieder mehr Sinn in unserem Tun finden.

Die entscheidenden Fragen, die wir uns stellen sollten, sind: Was will ich wirklich? Was sind meine Bedürfnisse? Womit werde ich glücklich? Was ist für mich ein sinnerfülltes Leben?

Als Gegenbewegung zu unserer Konsumgesellschaft hat sich vor einigen Jahren ein weltweiter Trend entwickelt: der Minimalismus. Er ist eine Form, mit Besitz und Konsum bewusster umzugehen, und in einer einfachen Lebensweise mit wenig Besitz innere Freiheit und Sinn zu erfahren. Im Endeffekt beginnt Minimalismus mit radikalem Ausmisten seiner Habseligkeiten. Wer einmal begonnen hat, sich von überflüssigen Dingen zu trennen, wird die wohltuende Wirkung des Loslassens schnell erfahren.

Minimalismus ist mehr als Ausmisten

Loslassen ist das Mind-Set des Minimalismus, der sich auf alle Lebensbereiche erstecken kann und sich nicht auf den materiellen Besitz beschränken muss. Studien haben festgestellt, dass Menschen, die ihren Besitz reduzieren und loslassen, auch aktiver und klarer mit anderen Lebensentscheidungen umgehen. Die Frage „Was ist mein grundlegendes Bedürfnis“ endet nicht mit der Frage nach mehr Platz in der Wohnung. Weg kann, was keinen Mehrwert bringt. Weniger ist mehr – mehr Freiräume, mehr Selbstbestimmung. Vor diesem Hintergrund lohnt es sich, auch seine Beziehungen und psychischen Dispositionen zu betrachten. Was ist mir wichtig? Was möchte ich ändern? Vielleicht rückt jetzt in den Fokus, dass eine lange Arbeitszeit bedeutet, weniger Zeit für sich, Familie und Freunde zu haben. Und diese Erkenntnis kann der erste Schritt zur Veränderung sein.

Für den Einstieg in eine minimalistische Lebensweise bietet sich aber das Ausmisten tatsächlich an. Hier erleichtern ein paar einfache Grundregeln den Beginn:

Die Zwölf-Monats-Regel:

Alles, was du länger als ein Jahr nicht mehr benutzt hast, kannst du getrost entsorgen. Du musst es nicht in den Müll geben, genauso gut kannst du es verkaufen, verschenken oder spenden. Dann fällt die Trennung vielen von uns leichter.

Ein Teil neu – zwei weg:

Wenn du neue Dinge kaufst, überlege dir genau, ob du sie wirklich benötigst und sie etwas zu deinem Wohlbefinden beisteuern. Wenn du dich zum Kauf entscheidest, versuche, dafür zwei andere Dinge auszusortieren.

Leihen, Tauschen, Reparieren – neue Wege, nachhaltig zu konsumieren

Wir können aber ein nachhaltiges Konsumverhalten bereits vor dem Kauf ins Auge fassen. Viele Menschen kaufen Dinge, die sie nicht oft brauchen, nicht mehr, sondern tauschen oder leihen sie. Auf Second Hand-Börsen im Internet finden kaum getragene Klamotten neue Besitzer, vielfältige Car-Sharing-Modelle machen das Auto in der Großstadt verzichtbar und in Nachbarschaftsportalen kann man Bohrmaschinen ausleihen und vielleicht sogar die helfende Hand des Nachbarn. Reparaturcafés setzen ein Zeichen gegen die Wegwerfgesellschaft. All diese Trends zeigen ein neues Bewusstsein für den Wert von Besitz und führen zu neuer innerer Freiheit.

Macht materieller Besitz zufrieden und glücklich?

Die Glücksforschung ist sich einig: Mehr Besitz führt nicht zu mehr Glück, sobald unsere Grundbedürfnisse erfüllt sind. Das sog. Easterlin-Paradox besagt, dass ein steigendes Einkommen nur bis zu einem gewissen Punkt, ca. 60.000 € Jahreseinkommen, Glückszuwächse beschert. Danach stagniert die Kurve und geht sogar zurück. Der Grund sind steigende Erwartungen mit zunehmendem Einkommen. Wir erwarten immer mehr Wohlstand und sind frustriert, wenn sich unsere Erwartungen in der Realität nicht erfüllen, trotz steigenden Einkommens. Dadurch verlieren wir Zufriedenheit und Glück.

Auch gibt es einen Zusammenhang zwischen Überfluss und Überdruss. Eine immer steigende Auswahl an Produkten überfordert uns und schafft keine Zufriedenheit mehr. Außerdem gewöhnen wir uns schnell an einen gewissen Standard und das Gewöhnliche verliert bald seinen Reiz und macht uns nicht glücklicher. War der erste Besuch im einem Sterne-Lokal noch aufregend und ein einziger Genuss, ist der Effekt nach dem zehnten Mal meist dahin. Und leider wird den meisten von uns der Wert der Dinge, die sie besitzen, erst bewusst, wenn wir sie verloren haben. Wenn Menschen ihr Hab und Gut z. B. nach einer Naturkatastrophe verloren haben, trauern viele so sehr, dass sie Depressionen oder posttraumatische Belastungsstörungen entwickeln können.

9 Tipps, um das Leben zu vereinfachen und mehr Freiheiten zu gewinnen

Wenn du deinen Konsum bewusster gestalten und in deinem Leben das Wesentliche entdecken willst, können dir folgende Tipps dabei helfen.

Tipp 1: Frage dich: Was ist mir wichtig?

Um deine Bedürfnisse zu erkennen und danach zu leben, ist es wichtig, dass du dir zunächst genau überlegst, was du eigentlich möchtest. Was möchte ich tun? Hätte ich gerne mehr Zeit für mich, für Familie und Freunde? Welche Ziele will ich erreichen? Was benötige ich, um glücklich zu sein?

Tipp 2:Lass los

Es ist nicht nur wichtig, materielle Dinge loszulassen, auch schlechte Gefühle, toxische Beziehungen oder verdrängte Altlasten aus der Vergangenheit schränken uns ein, unser Leben so zu leben, wie wir es uns wünschen. Wenn du deine Baustellen angehst und loslässt, ist das ein guter Weg zu mehr Glück und Lebensfreude.

Tipp 3: Überprüfe deine Pflichten und priorisiere sie

Unser Alltag ist voll von Aufgaben und Pflichten, die wir erfüllen müssen oder sollen. Aber müssen wir wirklich alle erledigen? Gibt es wichtige und unwichtigere? Können wir manche vielleicht delegieren? Würde uns das Freiräume verschaffen für andere Aktivitäten?

Tipp 4: Entschlacke deinen Tagesablauf

Streiche Punkte von deiner täglichen To-do-Liste. Musst du wirklich alle acht Aufgaben erledigen? Oder reicht es auch, die drei wichtigsten abzuhaken? Plane immer genug Puffer zwischen den Aufgaben ein, denn oft verschätzen wir uns mit der Zeit, die die einzelnen Punkte benötigen. Lass keinen Zeitdruck entstehen. Das entspannt ungemein.

Tipp 5: Konzentriere dich auf eine Sache

Multitasking war gestern – ab heute zählt Single-Tasking. Mache eine Sache ganz bewusst und denke an nichts anderes. So bleibst du fokussiert und das Ergebnis wird meist auch besser.

Tipp 6: Mach mal Pause

Pausen sind genauso wichtig wie deine Aufgaben. Plane deshalb in deinen Alltag bewusst kleine und größere Pausen ein. Und nutze sie auch bewusst, indem du dich entspannst und mit dem Kopf nicht schon wieder beim nächste To do bist.

Tipp 7: Gehe regelmäßig offline – Digital Detox

Versuche einmal pro Tag für eine Stunde auf dein Smartphone, den Rechner und den Fernseher zu verzichten. Gerade durch die digitalen Medien sind wir ständigen Reizen und einer Flut an Informationen ausgesetzt. Genieße deine Auszeit ohne sie und hör in dich hinein, was dir stattdessen guttun würde.

Tipp 8: Lebe achtsam

Du musst nicht gleich ein Achtsamkeitsseminar besuchen, aber du wirst schnell merken, wie du gelassener und zufriedener wirst, wenn du dich in deinem Alltag ganz auf das Hier und Jetzt konzentrierst. Steig ab und an vom Gaspedal und verweile ganz im Augenblick.

Tipp 9: Versuche es einmal mit Meditation

Innere Freiheit und Gelassenheit gewinnen wir auch durch einen freien Geist. Meditation kann dir helfen, deinen Kopf von Grübeleien und Gedankenspiralen zu befreien.

Verzicht ist eben manchmal das beste Mittel, um inneren Reichtum zu schaffen:

„Freiwillige Einfachheit bedeutet, seine Energie und seine Wünsche zu kontrollieren und zu steuern. In mancher Hinsicht hält man sich zurück, um in anderen Bereichen des Lebens eine größere Fülle sicherzustellen.“

Richard Gregg, Sozialphilosoph

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Vera schreibt am 05.09.2021

Ein toller Beitrag! Ich lasse in meinem Leben gerade ganz viel los. Entsorge Dinge und Gegenstände, die ich nicht mehr brauche. Trenne mich von Menschen, die mir nicht mehr gut tun. Und es fühlt sich schön an, eine Art neues Gefühl von Freiheit und Lebensfreude. Man hat nur dieses eine Leben und sollte sich seine Zeit so schön wie möglich machen. Danke für diesen wertvollen Beitrag!


Rebecca Ahmadi-Bruchhausen schreibt am 05.09.2021

Es hat nir gut gefallen die Idee der Einfachheut.


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 Wir besitzen im Durchschnitt 10.000 Dinge
 Minimalismus ist mehr als Ausmisten
 Leihen, Tauschen, Reparieren – neue Wege, nachhaltig zu konsumieren
 Macht materieller Besitz zufrieden und glücklich?
 9 Tipps, um das Leben zu vereinfachen und mehr Freiheiten zu gewinnen
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