Mit dem japanischen Lebensprinzip Ikigai können wir lernen, mit Hingabe zu leben und unserem Alltag Sinn zu geben. Eine Übung zeigt dir, wie das gelingen kann.
Viele Menschen wollen etwas finden, wofür es sich zu leben lohnt. Dafür gibt es eine Menge Angebote: Erfolg im Job, eine erfüllende Partnerschaft, Kinder, Freundinnen und Freunde, Statussymbole, Reisen. Das Problem dabei ist, dass all das irgendwann im Lauf des Lebens nicht mehr ausreichen kann, wenn wir nicht wissen, warum wir tun, was wir tun. Darauf Antworten zu finden ist für die meisten von uns eine große Herausforderung und mit der falschen Herangehensweise oft sogar unmöglich. Es gibt jedoch Prinzipien, die sich mit dem Sinn des Lebens beschäftigen und dabei helfen können, ihn zu finden.
Eine alte Frau kehrt im Morgengrauen die Straße, von dem Geräusch wacht ein Mann in einer nahegelegenen Wohnung auf, er räkelt sich kurz, erhebt sich von seiner Matratze, die in dem kargen Raum liegt. Er legt sein Bettzeug und die Matratze zusammen, verstaut sie in einer Ecke, geht zum Zähneputzen, Gesichtwaschen und Rasieren, was er routiniert und dennoch mit Bedacht macht. Danach zieht er sich einen Overall an, das einzige auf einem Bügel hängende Kleidungsstück im Zimmer. Dann gießt er liebevoll ein paar Topfpflanzen auf dem Tisch, steckt seine ordentlich auf einem Regalbrett verteilten Utensilien wie Handy und Schlüssel in seine Tasche und öffnet die Haustür. Er schaut in den Himmel, lächelt, schließt die Augen und atmet tief ein.
So verläuft die erste Szene aus Wim Wenders Film "Perfect Days" über einen Toilettenreiniger in Tokyo. In dem vielfach ausgezeichneten Film begleiten wir diesen Mann über mehrere Tage und Wochen in seinem zugegebenermaßen recht einfachen, sich immer wiederholenden Alltagsleben. Und doch wird es nie eintönig, denn der eher wortkarge Mann nimmt alle kleinen und großen Ereignisse um ihn herum sehr bewusst wahr: den flippigen Kollegen, das kleine Kind, das sich auf einer Toilette versteckt, das Schattenspiel der Bäume im Park, wo er jeden Tag ein Sandwich zu Mittag isst. Je länger der Film dauert, in dem der Mann einigen anderen Menschen mit kleinen und großen Sorgen begegnet, desto mehr wird klar: Dieser Mann ist zufrieden mit seinem Leben, denn er hat seinen Sinn in den einfachen Dingen gefunden.
Dieser Film baut auf ein Lebensprinzip, das tief in der japanischen Alltagskultur verwurzelt ist. Es wird Ikigai genannt. Der Begriff, zusammengesetzt auf den beiden Wörtern Iki – Leben und Gai – Wert, bedeutet so viel wie "der Wert, für den es sich zu leben lohnt". Es beschreibt damit die tagtägliche Suche nach dem Lebenssinn in den bedeutenden, ebenso wie in ganz gewöhnlichen Aufgaben, Handlungen und Ereignissen.
Anlass, den Sinn im Leben finden zu wollen, kommt selten einfach so. Oftmals gibt es spezielle Umstände, die dazu führen, dass wir unser bisheriges Leben hinterfragen oder auch die Zukunft planen, wie Berufsorientierung, unerwartete Veränderungen, aber auch Schicksalsschläge, körperliche oder seelische Krankheiten wie ein Burnout.
Was lässt mich am Morgen aufstehen? Welche Dinge, Ereignisse und Aufgaben wecken meine Leidenschaft – sowohl beruflich als auch privat? Das Lebensprinzip des Ikigai gibt darauf verständliche Antworten. Es lässt sich in einem anschaulichen Modell darstellen, das dir helfen kann, auf deine ganz eigene Weise den Sinn des Lebens zu finden.
Stell dir das Ikigai-Modell bildlich als vier sich überschneidende Kreise vor, die vier unterschiedliche Bereiche des Lebens illustrieren und denen vier grundsätzliche Fragen zugrunde liegen:
Dort, wo sich zwei Bereiche überschneiden, liegt der Startpunkt, um dein eigenes Ikigai zu finden. So entsteht Leidenschaft, wenn sich Talent und Begeisterung überschneiden. Die Überschneidung von Begeisterung und Bedarf wiederum stellt deine Aufgabe dar, also jene Dinge, von denen du wahrlich überzeugt bist. Von der Berufung sprechen wir dann, wenn sich Bedarf und Wert überschneiden. Das sind die Aufgaben, die uns wichtig sind und für die wir auch bezahlt werden wollen. Der Beruf entsteht in der Überschneidung aus Talent und Wert. Im Idealfall sind Beruf und Berufung sehr ähnlich, doch das muss nicht immer sein. In der Schnittmenge aller vier Bereiche liegt das sogenannte Ikigai, also der Sinn des Lebens. Wenn es dir gelingt, dein Ikigai zu erreichen, kannst du dich wirklich glücklich schätzen.
Keine Frage: Die Suche nach dem eigenen Ikigai ist nicht leicht. Manche suchen ihr ganzes Leben lang, vor allem, weil uns das Leben immer wieder vor grundlegende und unverhoffte Veränderungen stellt. Das verlangt eine bewusste Auseinandersetzung und Übung. Aber jede und jeder kann es schaffen, auch du.
Nimm ein Notizbuch zur Hand und schreibe deine Gedanken zu den vier Bereichen Begeisterung, Bedarf, Bezahlung und Talent auf. Überlege, was dich begeistert, was du und die Welt braucht, womit du Geld verdienen willst und was du besonders gut kannst. Beantworte diese Fragen über einen gewissen Zeitraum, mindestens eine Woche lang, immer wieder aufs Neue. Deine Antworten werden je nach Tagesstimmung variieren. Es macht nichts, wenn sie sich widersprechen.
Um dich zu motivieren, regelmäßig die Lebensfragen zu beantworten, hilft es dir, eine Erinnerung auf dem Handy zu aktivieren.
Parallel zu deinen eigenen Antworten kannst du auch mit Freundinnen und Freunden und deiner Familie, mit deiner Partnerin oder deinem Partner oder auch mit Arbeitskolleginnen und -kollegen sprechen und ihnen deine Fragen stellen. Trage auch ihre Antworten in dein Notizbuch ein.
Nach dem von dir gewählten Zeitraum hast du dein kleines "Ikigai-Tagebuch" erstellt. Lies dir jetzt nochmals alle Antworten durch und vergleiche sie. Du wirst schnell feststellen, dass es Antworten gibt, die sich voneinander unterscheiden, und solche, die sich wiederholen. Nimm diese als Wegweiser für dein Ikigai. Und dann setze deine aktive Suche fort. Egal, wohin sie dich führt, sie wird sich positiv auf deine innere Zufriedenheit auswirken.
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