Liebe ist eine Frage der Haltung – Podcast #95

Wie können wir die Liebe in uns wachsen lassen – zu uns selbst, zu unseren Partner:innen und zu anderen Menschen? Darum geht es in dieser Folge des Podcasts "Wecke deine Lebensfreude" mit der Coach Maja Günther und der Psychologin Claudia Morgenstern. 

Liebe ist eine Frage der Haltung – Podcast #95
© PAL Verlag unter Verwendung eines Fotomotivs von unsplash.com

Herzlich willkommen zu einer neuen Folge des Podcasts "Wecke deine Lebensfreude". Diesmal geht es um das große Thema Liebe. Wir erzählen aus unserer therapeutischen Erfahrung, geben Fallbeispiele aus unserer Arbeit und zeigen dir psychologische Strategien, konkrete Übungen und Tipps, mit denen es dir nicht nur gelingt, deine Liebe wachsen zu lassen, sondern immer öfter anstelle negativer Gefühle zu setzen. So begegnest du deiner Welt und den Menschen darin mit Liebe – und das macht dich und andere stark.

Themen des Gesprächs

  • Wie wir selbst mehr Liebe empfinden können
  • Woher die oft falschen und für uns negativen Vorstellungen über die Liebe und das Geliebtwerden kommen und wie wir sie überwinden können
  • Wie wir die Liebe in der Beziehung wachsen lassen können
  • Wie unsere Liebe auch in Extremsituationen Bestand hat
  • Wie wir Liebe in unserem Umfeld empfinden können, selbst zu fremden Menschen

Im Folgenden kannst du den Text unseres Gesprächs nachlesen. Die meisten Passagen werden nicht wortwörtlich wiedergegeben, sondern sind für den besseren Lesefluss sinngemäß überarbeitet.

Wie wir selbst mehr Liebe empfinden können

Maja Günther: Ich finde, oft habe ich es gar nicht so im Bewusstsein, dass ich ja auch ein Mensch bin, der Liebe braucht. Aber gerade ich kann mir selber Liebe geben und es fängt tatsächlich mit einer Haltung an: Ich überlege mir, dass ich ein wertvoller Mensch bin, dass ich gut bin, wie ich bin – allein dadurch, dass ich auf diese Welt gekommen bin –, und dass ich dafür nichts leisten muss und nichts tun muss, einfach nur, weil ich hier in diese Welt rein geboren wurde. Wenn ich diese Haltung im Kopf habe, dann fällt es mir viel leichter, mir selbst auch Gutes zu tun. Zum Beispiel mir zu überlegen, welche Kleidung ich heute brauche, um mich wohlzufühlen.

Claudia Morgenstern: Mir selbst etwas Gutes zu tun, fängt ja mit einer Milde mir gegenüber an. Wir sind mit uns selbst oft auch die strengste Kritikerin oder der strengste Kritiker. Und wenn wir liebevoll zu uns sind, dann ebnen wir den Weg dafür, dass wir auch mit uns selbst Geduld haben.

Maja Günther: Grundsätzlich sind wir da beim Thema Leistung: Wenn wir unsere Arbeit zu erledigen haben und unser ganzer Tag mit verschiedenen Aufgaben gefüllt ist, dann sind wir ja auch – zumindest kenne ich das von mir – manchmal sehr streng zu uns. Eigentlich denken wir uns: "Wie soll ich das eigentlich schaffen?" Aber wir wissen, wir müssen da durchkommen und sagen uns Sätze wie: „Ich reiß mich zusammen.“ Oder: „Ein bisschen was geht noch!“ Aber am Ende eines Tages stellen wir fest: „Also die fünf Minuten Pause hätte ich mir jetzt auch gönnen können.“

Claudia Morgenstern: Die Frage ist: Wie kann ich sanft mit mir umgehen? Das eine ist also die Liebe auf uns bezogen und das andere ist, dass in uns ein ganz großer Wunsch vorhanden ist, auch von anderen geliebt zu werden und geliebt zu sein. Und das fängt meist mit der Liebe als Kind an, die wir uns von den Eltern wünschen. Diese Liebe bekommen wir, wenn wir ganz klein sind. Dann ist sie hoffentlich ganz bedingungslos, dann können wir einfach nur sein. Aber mit der Zeit, wenn wir heranwachsen, werden immer mehr Erwartungen an uns gestellt. Vor allem in der Schule wird gesagt, wie wir zu sein haben. Aber im Innersten bleibt ja unser großer Wunsch bestehen, einfach bedingungslos geliebt zu werden. Und dieses Gefühl suchen wir vielleicht auch später in der Partnerschaft.

Woher die oft falschen und für uns negativen Vorstellungen über die Liebe und das Geliebtwerden kommen und wie wir sie überwinden können

Maja Günther: Genau damit hängen bestimmte Muster zusammen, die wir uns im Lauf des Lebens so aneignen. Vielleicht kennt ihr das auch aus eurem Leben, dass ihr feststellt, vor allem in Beziehungen, ihr folgt immer wieder denselben Mustern und denkt euch: „Jetzt bin ich in einer neuen Beziehung und hab ich mich schon wieder so oder so verhalten.“ Genau solche Themen sind es, die wir als Kinder gelernt haben. Etwa, dass wir erst von unseren Eltern und dann auch von anderen für dies oder jenes Verhalten Bestätigung bekommen, zum Beispiel, dass wir immer für andere da sind. So kann ein Glaubenssatz entstehen, den wir erst lernen und dann jahrelang verinnerlichen. Schließlich sind wir erwachsen und leben immer noch in dem festen Glauben, dass wir immer für andere da sein und uns aufopfern müssen. Eigentlich merken wir längst, dass uns dafür selber die Kraft ausgeht. Aber wir tun es trotzdem und speichern es fälschlicherweise unter dem Stichwort Liebe. Es gibt ganz viele Glaubenssätze, je nachdem, in welchem Setting wir so aufwachsen. Zum Beispiel: „Wir werden geliebt, wenn wir uns immer beeilen“ oder „Wir werden geliebt, wenn wir perfekt sind.“ 

Dann verhalten wir uns später so und merken, wenn wir in ein ganz anderes System eintauchen, dass das irgendwann nicht mehr funktioniert. Beispielsweise habe ich einen Partner, der meinen Glaubenssatz gar nicht will. Er will gar nicht, dass ich immer für ihn da bin und dass ich immer alles für ihn tue. Er fühlt sich eher eingeengt dadurch und dann merke ich: Hoppala, da stoße ich an eine Grenze beim anderen, und gleichzeitig spüre ich eine Enttäuschung, denn ich bin ja der Überzeugung, dass ich jetzt alles für meinen Partner getan habe, und dass das heißt, dass wir uns lieben. Wieso will der andere das jetzt nicht? 

Claudia Morgenstern: Und dann ist es so nicht kompatibel, wie die Liebe sich in der Beziehung verwirklicht.

Maja Günther: Wir sollten uns immer wieder auch daran erinnern, dass jeder Mensch mit einem anderen Verständnis oder mit einer anderen Definition von Liebe aufgewachsen ist. Also das, was sich für mich als Liebe anfühlt oder das, was ich unter Liebe verstehe, ist für jemand anderen vielleicht ganz anders.

Wie wir die Liebe in der Beziehung wachsen lassen können

Claudia Morgenstern: Das anfängliche Gefühl des Verliebtseins verflüchtigt sich irgendwann in einer Partnerschaft. Das ist ein Zustand, der einfach nicht auf ewig aufrechterhalten werden kann. Aber daraus kann sich eine Liebe entwickeln, die langlebig ist. 

Maja Günther: Ja, wir zeigen uns ja auch, wie wir eigentlich sind, haben irgendwann auch mal als Paar eine Krise miteinander überstanden oder eine bzw. einer von beiden hat eine Krise und die Partnerin oder der Partner muss irgendwie damit umgehen. Und ich glaube schon auch, dass das dabei das Thema Erwartungen eine große Rolle spielt. Also Erwartungen an die oder den anderen, aber auch das Gefühl, dass bzw. was von uns selbst erwartet wird. Darüber müssen Paare wirklich viel sprechen und Fragen klären wie: Was ist für mich wichtig? Was bedeutet das jetzt für mich? Unterschiedliche Erwartungen können die Beziehung in eine Schieflage bringen.

Claudia Morgenstern: Das ist besonders wichtig, wenn wir von dem Schritt, verliebt zu sein, wo wir die oder den anderen vielleicht zu sehr durch eine rosarote Brille betrachten – wenigstens am Anfang – weitergehen. Im Laufe der Zeit müssen und können wir die Brille ablegen und merken: Ja, klar, die oder der andere hat – wie wir selber auch – Ecken und Kanten. Aber wir finden auch sie liebenswert.

Maja Günther: An diesem Prozess finde ich spannend, dass sich dieses Gefühl von Liebe mit den Jahren der Beziehung ja auch verändert. Und ich glaube, es ist ganz wichtig, dass wir dann auch nicht immer alles sofort infrage stellen, sondern auch erst mal gucken, wo stehen wir heute und was ist heute für uns wichtig, was haben wir vielleicht schon zusammen geschafft und wo wollen wir gemeinsam hin. 

Claudia Morgenstern: Aber das zu erkennen ist keineswegs selbstverständlich und die Beziehung ist kein Selbstläufer. Im Gegenteil ist es gut, immer wieder in die Beziehung zu investieren. Damit aus der Liebesbeziehung nicht plötzlich ein Nebeneinanderher wird. Wichtig ist, dass wir uns gegenseitig bewusst wahrnehmen und klären: Wo stehen wir zu zweit gerade? 

Maja Günther: Ich sage immer: Nichts ist für die Ewigkeit, außer die Liebe, wenn man sie gut pflegt. 

Claudia Morgenstern: Also dieses Hegen und Pflegen ist ein kontinuierlicher Prozess.

Maja Günther: In den Gesprächen mit meinen Klient:innen erfahre ich immer wieder, dass es viele Menschen gibt, die Schwierigkeiten damit haben, ihre Grenzen zu spüren, die nicht fühlen und wissen, wann sie genug gegeben haben oder wann es ihnen vielleicht zu viel wird. 

Claudia Morgenstern: Ich mag dieses Bibelzitat: "Liebe deinen Nächsten wie dich selbst." Einfach, weil darin die beiden Bestandteile so gleichwertig sind. Ich schaue mir diesen Satz auch mit meinen Patient:innen oft genauer an, denn es gibt Menschen, die tun sich sehr leicht im Geben und schwer, selber zu empfangen. Sie sind nach außen orientiert – das ist ja auch schön! – und zugleich gibt es noch den anderen Teil und die Fragen: Ja und was ist mit mir selbst? Wo bin ich in der Beziehung zu sehen und zu spüren?
 

Wie unsere Liebe auch in Extremsituationen Bestand hat

Maja Günther: Dazu kommt: In der Liebesbeziehung habe ich meistens das Gefühl, freiwillig zu geben. Aber es gibt ja auch Beziehungen, in denen ich ganz viel Liebe investiere, zum Beispiel bei der Pflege von kranken Angehörigen, und hier ist es oft wirklich nicht so einfach, mich selbst auch noch im Blick zu behalten. Denn dann habe ich viel zu tun mit Organisation und dazu hängen oft die alten Rollenmuster der Familie im Raum – und all das geschieht neben dem normalen Alltag. In dieser Situation ist es nochmals schwieriger, genug für mich selber zu tun und zu schauen, dass ich wirklich stabil bleibe. 

Claudia Morgenstern: Das ist dann eine Phase der Beziehung, wo das Geben im Vordergrund steht und von der gepflegten Person ganz Unterschiedliches zurückkommen kann, das ganze Spektrum an positiven und negativen Emotionen, oft auch Groll, je nachdem, in welchem Stadium sich die oder der andere auch befindet in der Krankheit bzw. in welcher körperlichen und seelischen Verfassung.

Maja Günther: Hier spielt nicht selten ganz viel Frust und Enttäuschung mit. Denn für die oder den Betroffene:n ist es schwierig, emotional auf so einem stabilen Level zu bleiben, um ihre oder seine Dankbarkeit zeigen zu können. Da gibt es ja immer wieder auch viele ungute Situation in Familien, dass jemand gepflegt wird und dieser Mensch reagiert richtig grantig und lehnt die Fürsorge ab. Umso wichtiger ist es, darauf zu achten, dass ich diesen Ausgleich schaffe. 

Claudia Morgenstern: Dann befinde ich mich übrigens in einer ganz anderen Beziehung zu mir selber oder zu einem anderen Menschen, weil das Gleichgewicht nicht mehr gegeben ist und wir auch nicht automatisch so viel zurückbekommen, wie wir geben. 

Maja Günther: Wir befinden uns dann ja auch in dem anderen Liebessystem, nicht das partnerschaftliche in Form einer Liebesbeziehung, sondern das familiäre Liebessystem. Und darin ist zwar viel passiert in der Vergangenheit, aber es ist in der Gegenwart ein bisschen weiter weg.

Wie wir Liebe in unserem Umfeld empfinden können, selbst zu fremden Menschen

Maja Günther: Und wenn wir die Kreise der Liebesbeziehungen nochmals erweitern, dann kommen wir jetzt auf das Umfeld mit Freunden, Bekannten und Arbeitskolleginnen und -kollegen. 

Claudia Morgenstern: Eine liebevolle Freundschaft, sozusagen. Also Anteil zu nehmen, wenn ein Mensch außerhalb der Familie, ein Freund eine Freundin, etwas Wichtiges oder Bedeutsames erlebt oder durchlebt. 

Maja Günther: Hier geht es viel um Wahrnehmung und Akzeptanz. Wenn ich zu einem Freund oder einer Kollegin sage: „Ich hätte das jetzt irgendwie anders gemacht, aber ich akzeptiere deinen Weg oder deine Entscheidung“ und das dann auch so liebevoll stehen lasse, dann hat das in dem Moment auch etwas mit Liebe zu tun.

Claudia Morgenstern: Ja, die liebevolle Akzeptanz. Und wenn wir das Modell dann noch um einen Kreis erweitern und uns die Liebe zu den Menschen ansehen (das klingt vielleicht etwas hochgegriffen), dann geht es auch darum, respekt- und würdevoll mit jemand umzugehen, den ich vielleicht auch gar nicht kenne. Also, dass ich beispielsweise in einem öffentlichen Verkehrsmittel wahrnehme, jemand kann nicht gut stehen, also biete ich ihm einen Platz an. In dem Augenblick gehe ich liebevoll mit diesem mir fremden Menschen um.

Maja Günther: Ich glaube, da geht es auch um das Wahrnehmen und das Beobachten. Ein persönliches Beispiel: Letzens stand ich an der Supermarktkasse und habe auf eine alte Frau gewartet, die alles ganz langsam gemacht hat. In der Schlange war auch ein Mann, der sich fürchterlich darüber aufgeregt hat. Aber wenn ich die Situation objektiv betrachte, dann hat die Frau ja auch das Recht, in ihrem Tempo einzukaufen, auch in der Zeit, in der noch andere Menschen einkaufen. Vielleicht sieht sie schlecht und ist motorisch nicht mehr so fit, aber eigentlich ist es ja toll, dass diese Frau überhaupt noch so selbstständig ist. Das Einkaufen hält sie sicher fit und gibt ihr ja auch die Freiheit, das eigene Leben noch im Griff zu haben. Wenn ich aus dieser Perspektive und Haltung die Frau betrachte, dann kann ich für sie Liebe aufbringen.  

Claudia Morgenstern: Und auch wir werden eines Tages älter und sind dann vielleicht froh, wenn uns jemand Hilfe anbietet und uns mit Liebe begegnet. 

Auch das hat mit Würde zu tun. Wenn ich in meine Klinik gehe, dann begrüße ich alle in gleicher Weise, die Patient:innen, meinen Chef, aber auch die Reinigungskraft, die mir begegnet. Weil ich weiß, dass jede und jeder im System ihren und seinen Beitrag leistet, ohne den der Laden nicht laufen würde. 

Maja Günther: Ein weiterer Aspekt der Liebe ist die Dankbarkeit. Das kennen wir vom Erntedank, aber ich kann das auch das ganze Jahr über mitnehmen und mir klarmachen, eine Kartoffel wächst im Acker und dazu braucht es nicht nur Sonne und Regen, sondern auch Würmer, die den Boden bearbeiten und nicht zuletzt den Bauern, der die Kartoffel kultiviert und erntet. In allem steckt viel Arbeit und Liebe. Mache ich mir das bewusst, dann esse ich die Kartoffel in einem ganz anderen Bewusstsein. 

Claudia Morgenstern: Hier geht es um den liebevollen Umgang mit allem, was mich umgibt, also wieder biblisch gesprochen, mit der Schöpfung. Wir sind alle von der Natur umgeben.

Maja Günther: Genauso kann ich auch alle meine Handlungen und Aufgaben liebevoll ausüben, auch Dinge, die mir gar keinen Spaß machen, beispielsweise Putzen. 
In diesem Sinne empfehlen wir dir danach zu suchen, was du in deinem Alltag tun kannst, um Liebe zu empfinden und wo hier deine Grenzen sind.

Claudia Morgenstern: Und gerne öfter Mal jemand, auch eine fremde Person, liebevoll anlächeln. Wenn du das nächste Mal in die S-Bahn steigst, lächle sie liebevoll an und bringe ihr deine Liebe entgegen.

In diesem Sinne wünschen wir dir ganz viel Liebe für die nächste Woche …

Maja Günther: … und einen schönen Tag!

Deine
Maja Günther und Claudia Morgenstern

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