Warum wir uns mit dem Neinsagen schwertun und wie wir es üben können

Warum fällt das Neinsagen schwer? Der Grund liegt in unseren Einstellungen, die das Neinsagen erschweren. In diesem Beitrag erhältst du 4 hilfreiche Tipps, die dir das Neinsagen erleichtern können.

Warum wir uns mit dem Neinsagen schwertun und wie wir es üben können
© Jon Tyson, unsplash.com

Hand aufs Herz: Wie oft sagst du spontan ja, wenn jemand dich um einen Gefallen bittet? Ziemlich oft? Wie oft ärgerst du dich hinterher darüber und und bereust es? Auch ziemlich oft? Das kommt nicht von ungefähr, denn unser Verhältnis zum Nein-Sagen ist zwiegespalten. Und das hat meist seinen Ursprung in unserer Kindheit.

Die ersten Neins haben wir in der Regel von unseren Eltern gehört. Sie sagten immer dann nein, wenn wir etwas taten, das sie für gefährlich oder unangebracht hielten, wenn wir uns beispielsweise danebenbenahmen, wenn wir ihnen mit unserem Geschrei auf die Nerven gingen, uns in vermeintlich gefährliche Situationen brachten usw. Später – in unserer Trotzphase – erprobten wir selbst die Wirkung des Wortes Nein. Wir sammelten dabei erste Erfahrungen, wie unsere Umwelt auf ein Nein reagiert. Nicht selten kam uns Unverständnis, Ablehnung, Kritik, Tadel, Zurückweisung. Daraus lernten wir: Nein zu sagen bringt Stress, Disharmonien, Streit, Nachteile, ja sogar Strafen. Es war bequemer und in gewisser Weise sicherer, ein braves Kind zu sein oder wenigstens so zu tun und ja zu sagen.

Vielleicht lebten es uns unsere Eltern auch mit ihrem eigenen Verhalten anderen gegenüber vor, indem sie darauf achteten, vor anderen immer gut dazustehen und höflich zu sein, nicht in Konflikte zu gehen oder negativ aufzufallen. Auch dann ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass wir uns ihr angepasstes Verhalten abgeschaut haben.

Welche Einstellungen hindern am Nein-Sagen?

Aufgrund der Erfahrungen in der Kindheit haben wir uns blockierende Gedanken angeeignet, die uns das Nein-Sagen erschweren. Diese sehen so aus:

Wenn ich nein sage,

  • dann wird mich jemand anderes ablehnen.
  • dann bin ich schuld, wenn andere enttäuscht, gekränkt, verärgert oder verletzt sind.
  • dann bin ich herzlos und egoistisch.
  • dann werde ich eines Tages einsam und verlassen dastehen.

Solche negative Gedanken machen uns Angst, nein zu sagen. Deshalb sagen wir lieber ja, aus Angst vor negativen Konsequenzen.

Die Folge ist jedoch Wenn wir häufig ja sagen, obwohl wir lieber nein gesagt hätten, dann ärgern uns meist über uns. Dadurch leidet unser Selbstwertgefühl, weil wir uns für feige und nicht stark genug halten. Wir fühlen uns ausgenutzt und abhängig von anderen. Wir fühlen uns als Opfer.

Hat es Vorteile, ja statt nein zu sagen?

Natürlich! Wenn wir nicht nein sagen,

  • dann werden wir von anderen eher gemocht.
  • dann sehen andere uns als selbstlose, zurückhaltende Menschen an.
  • dann können wir uns selbst für einen guten, selbstlosen Menschen halten.
  • dann gehen wir Konflikten, Streitereien und Diskussionen aus dem Weg.
  • dann vermeiden wir Schuldgefühle, die wir bekämen, wenn wir uns durchsetzen würden.

Wenn du in Zukunft häufiger nein sagst, dann musst du wahrscheinlich auf einige dieser Vorteile verzichten, die das Ja-Sagen hat. Bist du bereit, dieses Opfer zu bringen? Vielleicht, wenn du erfährst, was du durch ein Nein gewinnen kannst.

Was du gewinnst, wenn du häufiger nein sagst

Neinsagen zu können hat unbestreitbare Vorteile. Ja, ich würde sogar behaupten: Nein-Sagen zu können hat mehr Vorteile, als Nachteile.

Wenn wir nein sagen, 

  • dann kümmern wir uns im gleichen Moment um unsere Bedürfnisse und schützen uns.
  • dann sind wir zufriedener, weil wir einen Einklang mit unseren Bedürfnissen herstellen.
  • dann setzen wir anderen gegenüber Grenzen und verschaffen uns Respekt. (Ja-Sager genießen kein hohes Ansehen)
  • dann lassen wir uns von anderen nicht ausnutzen.
  • dann steigern wir unsere Selbstachtung.

Was meinst du? Wiegen diese Vorteile die möglichen Nachteile auf? Entscheide selbst.

Und noch eine Überlegung: Wenn deine größte Befürchtung beim Neinsagen ist, dass die Person, die dich um etwas bittet, dir dein Nein übel nimmt und sich von dir abwendet, dann frage dich: Was habe ich verloren? Eine Freundschaft? Einen wichtigen Menschen? Wohl kaum. Wenn du die Sympathie deines Gegenübers nur bekommst, wenn du ja sagst, dann kann ihm nicht viel an dir liegen, oder? Dann bist du für dein Gegenüber nur interessant für das, was du ihm gibst. Dann wirst du nicht um deinetwillen gemocht oder anerkannt, sondern nur wegen deiner vielen Ja-Geschenke. Auf so jemanden kannst du verzichten.

Nein zu sagen, kann ein Fundament für eine gute Beziehung werden

Um die Angst vorm Neinsagen zu überwinden und einen Einstieg dazu zu finden, Wünsche und Forderungen anderer abzulehnen, kannst du den Test Angst vorm Neinsagen machen und dir Klarheit über dein momentanes Verhalten verschaffen. 

Neinsagen zu lernen braucht Geduld, Übung und etwas Mut. Warum? Weil wir etwas tun, vor dem wir anfänglich Angst haben und weil manche der befürchteten Reaktionen tatsächlich eintreten werden. Es wird Menschen geben, die werden über dein Nein nicht erbaut sein – insbesondere, wenn sie es gewohnt sind, dass du immer ja gesagt hast. Dann werden sie dir ihre Enttäuschung zum Ausdruck bringen und dir vielleicht sogar vorwerfen, egoistisch und herzlos zu sein. Stell dich auf diese oder ähnliche Reaktionen ein und lerne, mit ihnen zu leben – wenigstens für den Moment. 

Neinsagen kann am Anfang schwerfallen und weh tun. Aber du hast die innere Stärke, die möglichen Verletzungen zu ertragen und sie nimmt mit jedem Nein zu. Denn damit veränderst du dich und dein Verhältnis zu den anderen. Sie werden sich an diese Veränderungen gewöhnen und bald anders mit dir umgehen. Und wer weiß? Vielleicht findet ihr gerade dadurch gemeinsam ein stärkeres Fundament für eure Beziehung als es dein Jasagen jemals war.

Und nochmals: Nur durch Übung wird es dir leichter fallen, nein zu sagen, wenn es für dich und dein Wohlbefinden wichtig ist. Bleib also am Ball und hab Geduld. Die folgenden 4 Tipps können dir dabei helfen.

4 Tipps, wie du lernst, nein zu sagen

Tipp 1:Stärke deine Selbstachtung

Warum ist eine gesunde Selbstachtung wichtig? Lehnen wir uns ab und glauben, wir seien nicht in Ordnung, dann haben wir ständig Angst, andere könnten negativ von uns denken. Je mehr wir überzeugt sind, liebenswert und in Ordnung zu sein, umso weniger Angst haben wir vor Ablehnung und Zurückweisung. Deshalb ist es wichtig, deine Selbstachtung zu stärken! In den folgenden Beiträgen findest du hilfreiche Informationen zum Thema Selbstachtung und Selbstwertgefühl. Mach dich an die Arbeit. Es lohnt. Versprochen!

Der innere Kritiker zersört das Selbstwertgefühl

Woher eine geringe Selbstachtung kommt

Wie seine Selbstachtung stärken und aufbauen?

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Tipp 2:Nimm eine selbstbewusste Körperhaltung ein, in der sich dein Neinsagen ausdrückt

Wenn deine Körpersprache Unsicherheit und Unterwürfigkeit signalisiert, kannst du ein Nein nicht überzeugend präsentieren. Übe dein Nein erst mal vor einem Spiegel. Stell dir eine Person vor, die du häufiger um einen Gefallen bittest und der du oft allzu bereitwillig zusagst. Nimm eine selbstbewusste Körperhaltung ein und sag klar und deutlich: "Nein." Wie fühlt sich das an? Komisch? Vermutlich. Du bist es ja nicht gewohnt. Deshalb: Übe so lange, bis du dein Nein mit einem guten Gefühl aussprechen kanst. Unterstreiche dein Nein mit einer eindeutigen Körpersprache, indem du

  • Arme vor Brust verschränkst,
  • mit der Hand eine abwehrende Bewegung machst,
  • den Kopf schüttelst,
  • dein Nein mit fester Stimme aussprichst,
  • der anderen Person fest in die Augen schaust.

Eine selbstbewusste Körpersprache verleiht deinen Worten Gewicht. Achte deshalb auf deine Körpersprache

Tipp 3:Gib dir die Erlaubnis, nur an dich zu denken

Jeder Mensch trägt einen egoistischen Anteil in sich – und das ist nicht nur gut so, sondern auch lebensnotwendig! Für alles, was wir tun, gibt es auch egoistische Gründe. Menschen, die immer nur an andere denken, findest du bestenfalls in buddhistischen Klöstern. Und auch die buddhistischen Mönche sind auf dem Weg zur Erleuchtung und tun das für sich selbst. Wenn wir anderen helfen und damit altruistisch din, gewinnen wir immer auch etwas für uns selbst: innere Zufriedenheit, das Gefühl, ein guter Mensch zu sein, einen Sinn im Leben ...

Kein Grund also, sich dafür zu schämen, dass wir an uns denken und egoistisch sind. Wenn dich jemand als egoistisch bezeichnet, kannst du sicher sein, dass diese Person selbst egoistisch ist. Das gilt besonders, wenn wir nein sagen. Denn mit deinem Nein wird lediglich das Ego deines Gegenübers nicht befriedigt (es bekommt nicht, was es will). Wenn dir also dvorwirft, egoistisch zu sein, versucht es nur, dich emotional zu manipulieren.

Interessiert es dich, mehr darüber zu erfahren, ob du eher egoistisch oder altruistisch bist, dann mach den Egoismus Test. Und wirf einen Blick in die Videoberatung Angst egoistisch zu sein und den Beitrag Sich selbst verwirklichen heißt egoistisch zu sein.

Wenn du ja zu anderen sagst, pass auf, dass du nicht nein zu dir sagst.
Paulo Coelho

Tipp 4:Rede immer Klartext

Du brauchst keine Entschuldigungen, Ausflüchte oder Notlügen, wenn du nein sagst. Übe stattdessen, klar und deutlich Aussagen zu machen wie:

  • Das möchte ich nicht.
  • Dazu habe ich keine Lust.
  • Ich kann nicht.
  • Da geht nicht.

Du kannst eine Begründung für dein Nein anfügen, musst das aber nicht. Wenn du deine Ablehnung begründesz, achte darauf, dass du dich nicht für dein Nein entschuldigst, nach dem Motto: "Verzeih mir. Bitte hab Verständnis für meine Absage."

Mehr Informationen dazu findest du im Beitrag Wie du ein Nein formulieren kannst.

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sven schreibt am 31.12.2020

vielen Dank für die hilfreichen Tipps! ich hatte es monatelang schwer jemanden, demnicht allem zugestimmt habe, was er sich überlegt hatte; er nannte er mich renintent und war beleidigt. das hat mir Kraft gegeben


Kimba schreibt am 02.09.2020

Ich (50, w) finde es unglaublich schwierig, den für mich neuen Weg des Nein-Sagens zu gehen. Das schwierigste: Es muss mir egal sein, wie es dem anderen damit geht. Mir wurde aber von klein auf eingeimpft, dass ich dafür verantwortlich bin, dass es anderen gut geht. Davon wegzukommen ist anstrengend und belastend. Und obwohl mein Nein von gestern richtig war, habe ich Bauchschmerzen und Herzrasen und Angst davor, wie es jetzt weitergeht. Dabei kann mir auch das egal sein, die Person ist überhaupt nicht wichtig für mich, auch wenn sie direkt nebenan wohnt. Wie finde ich diese "Scheißegal-Haltung"?


Kola schreibt am 26.08.2020

super


Astrid Zinnow schreibt am 16.08.2020

Super gut geschrieben Vielen Danke da für


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 Welche Einstellungen hindern am Nein-Sagen?
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 4 Tipps, wie du lernst, nein zu sagen
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